Leseprobe zu Wenn ich wieder lieben kann
- Lisa und Anna
- 10. Jan.
- 7 Min. Lesezeit

Prolog
Die verdammten fünf Buchstaben leuchteten Linda auf dem Handy‑Display entgegen und brannten sich in ihre Netzhaut ein wie das Blitzlicht ihrer neuen Kamera.
Sie hatte sich fest vorgenommen, nichts darüber zu lesen, um sich nicht verrückt zu machen. Und doch scrollte sie, seit David eingeschlafen war, durch Berichte über Behandlungsmethoden, Heilungschancen und … Lebenserwartungen. Die Texte klangen, als handelten sie von einer faszinierenden biologischen Entdeckung. Aber für Linda und David war es nur eines: eine viel zu schnell tickende Zeitbombe.
Regentropfen prasselten in regelmäßigem Rhythmus ans Fenster über dem Bett. Sogar der Regen ist heute wie ein Zählwerk, dachte Linda und schüttelte die Gänsehaut von ihren Unterarmen ab. Achtlos legte sie ihr Handy auf den Nachttisch.
Das Display tauchte den Raum noch einen Moment lang in bläuliches Licht. Lindas Blick schweifte zu David, der neben ihr schlief und einen Arm um sie geschlungen hatte. Seine Lider waren gerötet und ein paar Strähnen seiner schwarzen Haare waren ihm in die Stirn gefallen. Über eine Stunde lang hatten sie gemeinsam geweint und die Welt verflucht, bis er keine Kraft mehr gehabt hatte.
»Ich liebe dich«, flüsterte sie und strich sanft über seinen Kopf, wie sie es heute Abend unzählige Male getan hatte.
Einen Augenblick später piepte ihr Smartphone und leuchtete erneut auf. Linda zuckte so stark zusammen, dass Davids Arm ein Stück nach unten rutschte. Sie hob ihr Handy vom Nachttisch auf und atmete geräuschvoll aus, als sie den Namen im Messenger las:
Christopher Hofmann. Davids bester Freund.
Hi Linda, was hat die Untersuchung ergeben? David antwortet nicht, wahrscheinlich ist sein Akku mal wieder leer. Ich hoffe, bei euch ist alles okay?
Während sie die Antwort tippte, schossen ihr Tränen in die Augen. Und sie waren bitterer als die, die sie mit David zusammen vergossen hatte. Verzweifelter. Einsamer. Sie hatte nicht die Kraft, eine hoffnungsvolle Nachricht zu schreiben oder die Fakten herunterzuspielen. Chris hatte das nicht verdient. Durch einen Tränenschleier schrieb sie die ungeschönte Wahrheit:
Es ist Krebs.
Chris antwortete nicht, aber Linda wusste, sie weinte jetzt nicht mehr allein.
Galgenhumor
6 Monate später
Linda mochte die Fußballnachmittage zu Hause, aber das stundenlange Fachsimpeln von David und Chris war heute eine Herausforderung für ihre Nerven. Die Diskussionen über die neuesten Transfers und Fehlkäufe der Bundesliga verschwammen im Hintergrund zu einem eintönigen Rauschen, während sie sich am Laptop auf die Fotos der Hochzeit konzentrierte, die sie gestern gemacht hatte. Ein tolles Paar. Das Kleid war zu pompös für Lindas Geschmack, aber zu der Braut passte es.
»TOR! Hab ich‘s doch gewusst!«, rief David und rückte grinsend sein schwarzes Basecap zurecht. Er trug es seit Monaten.
Linda erinnerte sich genau an den Tag, an dem der Haarausfall eingesetzt hatte, und daran, wie schwer es ihrem Mann gefallen war, damit klarzukommen. Er war kein eitler Mensch, aber hatte es geliebt, neue Frisuren und Stylings auszuprobieren. Jetzt blieben ihm nur täglich wechselnde Basecaps oder Beanies.
»So ein Dreck! Das war doch Abseits«, entgegnete sein Freund Christopher, der sich fassungslos in seine dunkelbraunen Haare fasste und näher an den Fernseher rückte.
Linda schüttelte den Kopf und lächelte. Immer das Gleiche.
Die beiden waren ein Herz und eine Seele, aber bei Fußball hörte die Freundschaft auf. Die Trikots, die sie trugen, waren genauso gegensätzlich wie sie selbst. David war groß und sportlich, doch nicht übertrieben muskulös. Konditionstraining war seine Leidenschaft gewesen, bis seine Krankheit es nicht mehr zugelassen hatte.
Chris war einen halben Kopf kleiner als David und ein gemütlicher Typ mit leichtem Bauchansatz. Er versuchte zwar, ab und an Sport zu treiben, gab es aber nach spätestens zwei Wochen wieder auf.
»Du spinnst ja!« David schubste ihn freundschaftlich an der Schulter und richtete das Wort an Linda. »Hey, Schatz, setz dich doch ein bisschen zu uns. Chris braucht seelischen Beistand, weil Bayern grade verliert.«
»Auf euer Schlachtfeld? Vergiss es.« Sie lachte und warf einen Blick zum Fernseher, der die Wiederholung des Tors in Zeitlupe zeigte. »Es war kein Abseits. Sorry, Chris«, stellte sie fest und rückte ihre schwarz umrandete Brille zurecht. »Willst du zum Trost einen Kaffee für die Halbzeitpause?«
Er nickte und sie verschwand in der Küche.
»Das ist Mobbing. Wieso bietest du ihm einen an und mir nicht?«, rief David ihr hinterher.
»Ich glaube, du solltest nicht zu viel davon trinken«, sagte sie mit einem besorgten Unterton in der Stimme und atmete tief durch.
»Da hast du deine Hausaufgaben nicht gemacht. Kaffee ist völlig unbedenklich bei Krebs. Und wenn ich schon sterben muss, dann wenigstens mit einer ordentlichen Portion Koffein im Magen.« Er lächelte charmant, als Linda zurück ins Wohnzimmer kam.
»Hör auf mit dem Mist. Du weißt, wie ich es hasse, wenn du so etwas sagst.« Sie funkelte ihn an und gab Chris demonstrativ langsam die Tasse. »Hier. Ich hab Milch und Zucker reingetan, wie immer.«
»Danke, Linda.«
Bevor sie sich von den Männern abwenden konnte, packte David ihre Hand und zog seine Frau an sich, sodass sie auf seinem Schoß landete.
»Es tut mir leid«, flüsterte er und streichelte mit dem Handrücken über ihre Wange. Die Wärme seiner Haut übertrug sich auf sie und sofort breitete sich ein Kribbeln in Lindas Bauch aus. Obwohl sie bereits seit sieben Jahren zusammen waren, konnte David sie immer noch mit einer einzigen Berührung aus dem Konzept bringen. Und das nutzte er regelmäßig.
Linda versank in seinen blauen Augen, die je nach Lichteinfall grünlich schimmerten.
»Lass mich doch ein bisschen Galgenhumor haben. Das macht es etwas leichter zu ertragen, findest du nicht?« Er spielte mit der Kordel ihrer regenbogenfarbenen Strickjacke, die sie immer trug, sobald es draußen kälter als fünfzehn Grad war.
Sie verdrehte schmunzelnd die Augen und zog ihm sein Spielzeug aus den Fingern. »Wenn du meinst. Ich muss weiterarbeiten.«
Linda hatte es ihm nie gesagt, aber sie bewunderte David für seine Art, mit der Krankheit umzugehen. Er hatte zwei Operationen an der Leber und einige Chemotherapie‑Zyklen hinter sich. Trotzdem riss er darüber Witze. Sie war sich allerdings nicht sicher, ob der unerschütterliche Optimismus seine eigentliche Angst überspielte. Sie schob den Gedanken beiseite und widmete sich wieder den Fotos.
»Wann musst du morgen ins Krankenhaus?«, fragte Chris, nachdem er seine Tasse geleert hatte.
Lindas Augen weiteten sich und sie fuhr herum. Morgen?
David warf seinem Freund einen genervten Blick zu.
Linda sprang auf. »Was hast du mir nicht erzählt?«
Er sah sie an und verzog ertappt das Gesicht. »Ein neuer Chemo‑Zyklus fängt an. Ich wollte es dir nicht sagen, damit du den Kopf für die Hochzeitsausstellung frei hast.«
Ein Stich fuhr ihr ins Herz und sie presste die Lippen aufeinander, bevor sie sprach. »Du weißt doch, dass ich immer dabei sein will. Du musst das nicht allein durchstehen.« Ein Anflug von Wut stieg in ihr auf. »Wie hast du dir das vorgestellt? Dass ich zur Messe fahre und du klammheimlich ins Krankenhaus gehst, ohne dass ich es erfahre? Das ist doch nicht dein Ernst.«
David zuckte beinahe hilflos die Schultern.
Chris räusperte sich und fuhr sich verlegen über den Dreitagebart. In ihrer Wut hatte sie fast vergessen, dass er noch da war. »Jetzt entspann dich, Linda. Ich gehe mit ihm hin, wenn dich das beruhigt. David wird nicht allein sein.«
Sie ließ sich wieder auf den Stuhl vor ihrem Laptop fallen und starrte teilnahmslos auf den Berg aus weißem Tüll, den sie zum Retuschieren vergrößert hatte.
»Schatz, es tut mir leid«, sagte David sanft. »Aber du hast dich so darauf gefreut und ich wollte dir das nicht kaputtmachen. Es wird dir guttun, mal ein paar Stunden Ablenkung zu haben. Ich weiß, wie wichtig dir die Messe ist.«
Sie schnaubte und widerstand dem Drang, ihren Blick auf ihn zu richten.
Chris zuckte mit den Schultern und flüsterte David eine Entschuldigung zu. Noch bevor die zweite Halbzeit des Spiels vorbei war, stand er auf und sah Linda und David abwechselnd an. »Ich muss los. Und ihr vertragt euch jetzt gefälligst wieder, ja? Dass ihr streitet, ist das Seltsamste, das ich mir vorstellen kann.«
»Wenn du wüsstest, wie hier manchmal die Fetzen fliegen, würde das dein Bild von uns komplett erschüttern.« Linda tauschte einen verstohlenen Blick mit David aus.
»Aber dafür ist die Versöhnung umso schöner«, murmelte er und zwinkerte.
Chris verzog das Gesicht und seine blauen Augen nahmen diesen verschmitzten Ausdruck an, der typisch für ihn war. »So genau wollte ich das gar nicht wissen. Bis dann. Ich hau jetzt ab, damit ihr euch ›versöhnen‹ könnt.«
Als Chris die Tür geschlossen hatte, schlich David auf Linda zu und stellte sich hinter ihren Stuhl. Er legte seine rechte Hand auf ihre Schulter und schob mit der linken ihren rötlich braunen, langen Zopf zur Seite. Er beugte sich herunter und hauchte ihr einen Kuss auf das kleine Muttermal, das in der Mitte ihres Nackens lag.
Sie lächelte.
»Es tut mir wirklich leid«, wisperte er und die Wärme in seiner Stimme, gepaart mit seinem Atem auf ihrer Haut, jagte ihr einen prickelnden Schauer über den Rücken.
Sie drehte den Stuhl zu ihm um und stand auf. »Schon gut, Schatz. Ich habe einfach Angst um dich, das musst du verstehen. Wenn ich daran denke, wie es dir nach dem letzten Zyklus gegangen ist, habe ich kein gutes Gefühl dabei, zur Messe zu fahren.«
Er lächelte schief und legte ihr die Hände um die Hüften. »Ich schaffe das schon. Ein paar Monate hab ich ja schließlich noch, die lasse ich mir nicht nehmen.«
»Jetzt hör bitte auf.« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn ein Stück näher heran. Sie küssten sich und Linda vergaß die schwierigen letzten Monate für kurze Zeit. Seine Lippen fühlten sich so vertraut und sicher an, als könnte nichts auf dieser Welt ihr Glück trüben. Es war eine Minute Unbeschwertheit. In diesem Moment waren sie nur David und Linda und sperrten das Schicksal aus, das in allen Ecken lauerte.
»Ich liebe dich, Schatz«, flüsterte sie.
»Ich dich auch.« Seine Hände glitten unter ihre Strickjacke und er schaute ihr tief in ihre braunen Augen, die jetzt nicht mehr wütend, sondern verführerisch funkelten. »Also, wie sieht es aus? Versöhnung?«, fragte er schelmisch.
»Klingt verlockend.« Sie grinste und folgte ihm nach oben ins Schlafzimmer.
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